112-Peterson: Wird mein Kind kriminell?

Der typische Kriminelle ist aus anderem Holz geschnitzt, als man landläufig glaubt. Aggressionen im Kindesalter sind ein Indiz – aber nicht alles.

Zur Regulation von Aggression gibt es einiges zu sagen. Ich habe mich vor allem mit der Entwicklung von antisozialem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Antisoziale, also zu Aggressionen neigende beziehungsweise verhaltensgestörte Kinder, entwickeln sich oft zu verhaltensgestörten Jugendlichen. Und diese wiederum entwickeln sich tendenziell zu antisozialen und kriminellen Erwachsenen. Diesen Vorgang nachzuvollziehen, ist sehr interessant, denn er verläuft nicht so, wie man im Allgemeinen denken sollte.

Zunächst einmal – Kriminelle zeichnen sich vor allem durch eine sehr geringe Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit aus (siehe Big-Five-Persönlichkeitsmodell). Geringe Verträglichkeit impliziert: „Alles ist für mich und nicht für dich. Und niemand wird mich dazu bringen, etwas zu tun, das ich nicht will. Ich werde mich behaupten.“ Und geringe Gewissenhaftigkeit bedeutet in diesem Fall: „Du kannst gerne die ganze Arbeit machen, ich lehne mich zurück und ernte die Lorbeeren.“ Jemand mit sehr geringer Verträglichkeit und sehr geringer Gewissenhaftigkeit grenzt schon an Psychopathie.

Fügt man nun noch hohe Intelligenz und hohe emotionale Stabilität hinzu, hat man jemanden, der nicht arbeitet, aber die Früchte einfährt, der sich nicht um andere schert, extrem durchsetzungsfähig und clever ist. Eine solche Person ist auch charismatisch, denn extrovertierte, streitbare Menschen haben eine narzisstische Tendenz, dennoch engagieren sie sich in vielerlei Hinsicht. Und wenn sie sich dann noch selbstbewusst und ohne Anzeichen von Angst präsentieren, verwechselt man dieses Auftreten mit Kompetenz. Auf diese Weise kommen Psychopathen auch immer wieder davon, bis auf die Tatsache, dass sie von Person zu Person ziehen müssen. Weil ihnen einfach igrendwann ihr Ruf vorauseilt.

Hyperaggressive Zweijährige

Aber zurück zur Entwicklung von Aggression bei Kindern und Entwicklung von Kriminalität bei Erwachsenen. Es scheint – vereinfacht ausgedrückt – folgendermaßen zu funktionieren: Angenommen, man ordnet Kinder nach Alter in verschiedene Gruppen ein, sagen wir 30 Zweijährige, 30 Dreijährige, 30 Vierjährige und so weiter, bis zum Alter von 18 Jahren. Und nun beobachtet man ihre Interaktionen und kodiert ihr Verhalten nach Treten, Beißen, Kämpfen und Diebstahl. Nach diesen Kriterien wird man feststellen, dass die Zweijährigen eindeutig die aggresivsten sind.

Ziemlich interessant. Man würde doch eigentlich denken: Kinder sind von Natur aus friedlich; wenn sie aggressiv sind, dann, weil sie es gelernt haben. Das trifft jedoch nur auf eine kleine Minderheit der aggressiven Kinder zu. Es gibt vielmehr eine beträchtliche Anzahl an Kindern, die von Natur aus im Alter von zwei Jahren aggressiv sind. Das heißt natürlich nicht, dass die meisten Kinder aggressiv sind. Selbst bei den Zweijährigen – den aggressivsten Menschen überhaupt – sind die meisten nicht aggressiv. Einige jedoch schon. Die meisten davon sind männlich.

Nun hat man also die Kohorte der aggressiven Zweijährigen und verfolgt ihre Entwicklung, bis sie vier Jahre alt sind. Nun wird man feststellen, dass die große Mehrheit der hyperaggressiven männlichen Zweijährigen hervorragend sozialisiert wurde. Mit vier Jahren sind sie vom Temperament her sicherlich noch aggressiver als andere, aber sie sind zivilisierte kleine Monster geworden, die von anderen toleriert werden. Das bedeutet, sie hatten Eltern, Spielgefährten oder Erziehungserfahrungen, die sie befähigten, die produktive Interaktion mit anderen Kindern zu lernen und ihre aggressive Natur unter Kontrolle zu bringen.

Warum sollen Sechsjährige fünf Stunden ohne Bewegung stillsitzen?

Manches davon scheint durch die Möglichkeit vermittelt zu werden, sich im Spiel auszutoben. Das hilft übrigens auch bei der Sozialisation von Ratten, es ist sogar lebenswichtig für sie. Und ebenso scheint es wichtig für die Sozialisation kleiner Kinder zu sein. (...) Herumtoben hilft scheinbar bei der Regulierung aggressiver Impulse und dabei, dem Kind zu zeigen, wie es seine Aggressionen besser ausleben kann. Bei Ratten hilft Herumtoben ebenfalls, impulsive Aggressionen zu hemmen. Wenn man ihnen diese Möglichkeit eintzieht, zeigen sie Defizite der Entwicklung des präfrontalen Cortex' und weisen Verhaltensweisen auf, die mit einem Aufmerksamkeitsdefizit vergleichbar sind – und die man dann mit Ritalin behandeln kann.

Jungs werden viel häufiger wegen AD(H)S mit Ritalin behandelt als Mädchen. Ihre natürliche Neigung, auf robuste und konfliktreiche Art zu spielen, passt absolut nicht in eine schulische Umgebung, wo die Kinder die ganze Zeit sitzen und still sein sollen, sodass sie hyperaktiv werden. Anstatt sie nun herumrennen zu lassen, bis sie halb erschöpft sind, was das Richtige wäre, setzt man sie unter Medikamente, sodass ihre Erkundungssysteme, deren Aktivität durch den Dopaminagonisten, also das ADHS-Medikament gesenkt wird, die Spielfunktion unterdrücken. Einfach nur entsetzlich und unentschuldbar. Aber eine wichtige Anklage gegen das Schulsystem: Warum sollen Sechsjährige fünf Stunden ohne Bewegung stillsitzen? Es sei denn, man will, dass sie dick und doof werden.

Foto: jordanbpeterson.com

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Leserpost

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Sabine Heinrich / 03.04.2024

@Marion Lemker: Herzlichen Dank für Ihren fundierten Beitrag! Sie haben unübersehbar Praxiserfahrung - auch, was den Einsatz und die Wirkung von Ritalin betrifft. - Leider ist es immer noch so, dass jeder Mensch glaubt, alles über Schule zu wissen - obwohl er nach Verlassen derselben nie wieder einen Fuß hineingesetzt hat - höchstens, um sich dann als Elternteil über irgendetwas/jemanden zu beschweren. - Von Eltern, die sich im Schulalltag in der Schule z.B. bei Festen, Projektwochen, Ausflügen und vielem mehr engagierten, habe ich schon vor 15 Jahren immer wieder gehört: “Wie halten Sie das nur alles aus? Also - Ihren Beruf möchte ich nicht haben!” Wenn wir ihnen dann die Augen geöffnet haben über unsere Aufgaben außerhalb der 28 Schulstunden,  über stundenlange zeitraubende Sitzungen, über unsere Machtlosigkeit gegenüber Schülern, die sich an keine Regeln halten, andere drangsalieren - dann fielen ihnen schon damals die Augen aus dem Kopf. Uns sind schon vor 15, 20 Jahren so gut wie alle Disziplinierungsmöglichkeiten genommen worden - kein Wunder, dass niemand mehr Lehrer werden will unter den derzeit herrschenden Bedingungen. Den Beruf ergreift heute wohl nur noch jemand, der glaubt, dass er morgens recht und nachmittags frei hat - und sowieso alles besser weiß und kann als die erschöpften alten Säck_*Innen im Lehrerzimmer. Pardon - ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich das Wort “Disziplin” verwendet habe! Ob das im DUDEN noch aufgeführt wird?

Sam Lowry / 03.04.2024

Ein paar biodeutsche Ausnahmen. Aber im Koran steht… DAS IST UNSER PROBLEM IN DER ZUKUNFT!

Fred Burig / 03.04.2024

@A. Ostrovsky:”...  Der Klügere DARF nicht nachgeben!.... Vergessen sie dabei nicht, ob sich der Klügere nur dafür hält ! Sie wissen schon, dass sich manche Menschen gerne etwas “überhöht” darstellen wollen .... das muss nichts mit “Klugheit” zu tun haben! In der Regel kommt man aber mit Verstand am weitesten! MfG

Marion Lemker / 03.04.2024

Wann war der Autor dieses Artikels das letzte Mal in einer Schule? Muss mindestens 40 Jahre her sein, eher länger. Es gibt keine, ich wiederhole: keine Grundschule in Deutschland, in der Kinder 5 Stunden lang still sitzen müssten. 1. Gab es schon immer Pausen - da wird auf dem Schulhof getobt. 2. wird mindestens seit den 70er Jahren (!), der Unterricht gegliedert in Frontalunterricht, in dem neuer Stoff erklärt wird und gezeigt wird, Übungsphasen, in denen die Kinder das erproben und Phasen mit Bewegungsspielen oder bewegtem Lernen direkt am “Objekt” also z.B. Sachkunde draußen. 3. Haben heutzutage viele Schulen - und Grundschulen sowieso - auch Ruheräume, Bewegungsräume, Bibliotheken, und Ateliers. Und in den Klassenzimmern der Grundschule gibt es immer auch eine Spielecke. Die Behauptung, in den Schulen müssten vor allem Grundschüler 5 Stunden still sitzen, ist komplett falsch. Was hingegen heute zugenommen hat, ist der Umstand, dass es immer mehr Kindern sehr schwer fällt, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren oder überhaupt sich zu konzentrieren, was aber entscheidend ist, um z.B. schreiben zu lernen. Und ebenso ist es zwar ein populäres Märchen, dass mit Ritalin “Kinder ruhig gestellt würden”, damit sie still sitzen können und nicht rumtoben - aber auch das ist Quatsch! Im Gegenteil, ein Kind, das wirklich - schwer - ADHS hat, kann dadurch große Problem haben, sich überhaupt in eine Gruppe einzufügen; z.B. ist es für so ein Kind schon kaum möglich mit anderen Kindern am Tisch Mittag zu essen und fängt an rumzuschreien, mit dem Besteck auf dem Geschirr zu trommeln und beschwert sich selbst im gleichen Moment, dass es zu laut sei - obwohl es selber den Lärm verursacht. Dieses Kind kann die Essenssituation mit den anderen nicht verarbeiten, das ist schon zu viel fürs Kind. Und in solchen Fällen ist Ritalin ein Glück. Die richtige Dosierung von Medikamenten kann so einem Kind ermöglichen am sozialen Leben teilzunehmen! Und das ist gut - für das Kind!

A. Ostrovsky / 03.04.2024

@Sabine Heinrich : >>Bedenken Sie aber: Die Unterrichtsstunden dauern 45 Minuten, die Pausen dauern je nach Schule bis zu 20, 25 Minuten - und während des Unterrichts sorgen die Lehrer - auch im Deutsch-oder Matheunterricht - für Bewegung.<< # Ich habe sowohl selbst Schulen besucht, als auch bei mehreren meiner Kinder mehr als 10 Schuljahre “miterlebt”. Es gibt da also eine unmittelbare Erfahrung. Zuerst zu der Schulzeit meiner Kinder. Dort hatten die Verhaltensauffälligen Idiotenrechte und durften sogar in Anwesenheit (bestimmter) Lehrer z.B. meinem Kind einen ganzen Bücherstapel auf den Kopf schlagen, OHNE Eingreifen der Lehrerin, und das nicht nur ein Mal! Mein anderes Kind wurde in der “kurzen” Pause, die nur zum Umziehen von einem Klassenraum in einen anderen reichte (das war Schule auf Wanderschaft), von einem Mitschüler mit einem Feuerzeug angezündet und hat Brandwunden davon getragen. Von der Schule gab es keine Maßnahmen, weil der Vater ein stadtbekanntes “Hohes Tier” war. Wir wurden von einem Anwalt, der unsere Interessen “vertreten” sollte, überzeugt, dass eine Klage gegen die Schule aussichtslos wäre und nur unsere Kinder danach die Leidtragenden wären. Ganz deutlich in der Mehrzahl! Eine Klage gegen die Eltern des Täters wurde umgebogen zu einer außergerichtlichen Einigung vor einem Schlichter, um dem armen Kind (dem TÄTER, der mein Kind angezündet hatte) nicht auf seinem Entwicklungsweg Steine in den Weg zu legen. Ich weiß nicht, in welchem Wolkenkuckuksheim Sie unterrichtet haben, oder ob Sie nur eine völlig verzerrte Wahrnehmung haben. Ich habe die bundesdeutsche Schule als Höllentrip für meine Kinder erlebt. Diese geschlossene Ignoranten-Front gegen die Wahrheit, die sich heute überall wieder breit macht, ist dem damaligen Zustand sehr ähnlich. Alle machen mit, außer denen, die zersetzt werden sollen. Und bei denen geht es um Sippenhaftung (Die Ausdehnung der “Schwierigkeiten” auf alle Kinder der Familie, die dem selben Schulamt unterstehen).

Sabine Heinrich / 03.04.2024

Nachtrag zum Thema “Aufsichtspflicht”. Vor wenigen Monaten sah ich im Vorbeigehen an einer Hamburger Grundschule einen Lehrer (Lehrer?) der seine Anwesenheitspflicht in gewisser Hinsicht wahrgenommen hatte - er saß in der Nähe eines Spielgerätes und daddelte auf seinem Smartphone herum - Blick auf die Schüler? Fehlanzeige! - Wenn ich an die Aufsichtszeiten zu meiner Zeit denke - eine ruhige Minute gab es selten; da haben wir mit den Schülern gescherzt, geredet, eine Rüge wegen unerlaubten Schneeballierens erteilt ;-), Probleme gewälzt, getröstet und bei Bedarf auch energisch durchgegriffen. Pardon - nun ist mit mir durch die Erinnerung an die keineswegs rosa gefärbte Vergangenheit der Gaul durchgegangen.  - Tatsache ist aber: Wenn z.B. Schüler mit einer Arbeit schneller fertig sind als andere, steht man mit einem Bein im Gefängnis, wenn man sie auf den Schulhof lässt - und es passiert etwas. - Man kann sich ja nicht aufteilen. Die Fachkräfte - wo sind sie denn? Eine gewisse Klientel würde sich nicht ansatzweise so von respektlosen Kindern (und Eltern) auf der Nase herumtanzen lassen.

Sabine Heinrich / 03.04.2024

@Ilona Grimm: Nun - Rumtoben außerhalb der Pausen - da wird es schwierig - zugegeben. Bedenken Sie aber: Die Unterrichtsstunden dauern 45 Minuten, die Pausen dauern je nach Schule bis zu 20, 25 Minuten - und während des Unterrichts sorgen die Lehrer - auch im Deutsch-oder Matheunterricht - für Bewegung. Die Aufsichtspflicht - das ist die große Krux, welche viele Lehrer daran hindert, die ihnen anvertrauten Kinder sich so viel bewegen/toben zu lassen, wie sie es für gut und vernünftig halten. - Sollte sich ein Kind auf dem Schulhof, an einem Spielgerät wehtun, es durch eine aggressive Attacke durch einen anderen Schüler verletzt worden sein, wird sofort nach einer Verletzung der Aufsichtspflicht geforscht. Kaum ein Lehrer wird sich unter den heutigen Zuständen an den Schulen noch trauen, mit 25 Kindern allein auch nur während der Unterrichtszeit nach draußen auf den Schulhof zu gehen. - Wenn irgendetwas passiert, stehen die Eltern sofort auf den Barrikaden - auch wenn der Lehrer seine Augen nicht überall haben kann. Nun waren mir allerdings auch immer diejenigen ängstlichen Kolleginnen ein Graus, die Rangeleien unter Jungen sofort unterbunden haben - statt sie nach festgesetzten Regeln fair miteinander kämpfen zu lassen. - Dieses “Wir müssen darüber reden” von einer sogenannten Konfliktlöserin (selbst schwach, rückgratlos) konnte ich nicht mehr hören.

A. Ostrovsky / 03.04.2024

@Ilona Grimm : >>@Sabine Heinrich, @Isabella Martini: Fast jeden Tag komme ich beim Frischluftschnappen an der Grundschule meiner kleinen Stadt vorbei. Noch nie habe ich außerhalb der Pausen Kinder auf dem Schulhof rumtoben sehen und in den Klassenräumen hört und sieht man auch nichts davon. Anscheinend lebe ich da, wo Herr Peterson lebt. Bei der großen „Kita“ meiner kleinen Stadt verhält es sich übrigens nicht anders: Rumtoben draußen wird sehr dosiert gestattet. Es fehlt wohl am Aufsichtspersonal ... trotz des stetigen Zustroms von Fachkräften.<< ## Frau Grimm, gehen Sie doch auch mal zum Lidl. Vielleicht liegen die dort alle zwischen den Wühltischen und schreien, weil sie keinen Plüschosterhasen bekommen. Wenn etwas nicht da ist, kann es immer noch woanders sein. Wir hatten ja damals noch gar keinen Lidl. Aber am Lidl liegt es ja auch gar nicht.

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