Heinz Theisen, Gastautor / 03.05.2024 / 16:00 / Foto: TimsAI / 16 / Seite ausdrucken

Israel – Menetekel oder Modell für Europa?

Im Kampf gegen den Islamismus sind die Grenzen Israels auch die Grenzen Europas. 

Während die Israelis verzweifelt um ihre Existenz kämpfen, wählen die Europäer auch mit ihrer Beschwörung humanitärer Gebote im Gaza-Krieg einen anderen Weg. Die Hamas nur „etwas“ zu besiegen, hat in der Vergangenheit nie geholfen. Der Totalitarismus muss – auch in seiner religiösen Gestalt – mit seinen Wurzeln ausgerissen werden. Hätten die Israelis dies bei früheren Waffengängen erkannt, in denen sie es nach Raketenangriffen bei Gegenschlägen beließen, wäre ihnen der 7. Oktober erspart geblieben.  

Aber auch danach wird der Islamismus eine dauerhafte Herausforderung bleiben, für Israelis, für Europäer und in zunehmenden Maße für fast alle zivilisierten Staaten auf der Welt. Die islamische Welt ist bezüglich Demokratie, Bildung und wirtschaftlicher Lage im Hintertreffen. Darüber – so Ruud Koopmans – ist ein Teufelskreis entstanden, denn in diesen Kränkungen der Nachrangigkeit erweisen sich islamistische Erzählungen als attraktive Motive für die Verlierer der Modernisierungsprozesse und gewinnen daher nicht zufällig parallel zu globalen Modernisierungsprozessen an Bedeutung. 

Die schleichende Islamisierung Europas erfolgt heute noch friedlich durch Inanspruchnahme der sozialen Infrastruktur. Die innere Sicherheit ist weitgehend erodiert. Gerechnet auf ihren Bevölkerungsanteil gab es 2023 122-mal mehr antisemitische als islamfeindliche Hasskriminalität, von Oktober 2022 bis zum Oktober 2023 hatte sie sich um 320 Prozent erhöht. Der Judenhass ist nach Europa übergeschwappt. 

Sollte Israel dem Druck gegenüber dem vom Iran angefachten islamistischen Kämpfen irgendwann nicht mehr standhalten, würde den Europäern eine Staumauer wegbrechen. Doch statt gegen Islamisten kämpfen die Regenbogen-Europäer gegen „islamophobe" Warner. Sie setzen ihre Moral über die Urteilskraft und halten auch ihre Grenzen offen. Bereitwillig öffnet sie selbst erklärten Feinden freien Zutritt und soziale Förderung opfert dem globalen Humanitarismus ihre innere Stabilität.

Westliche Entwicklungshilfe von erschreckender Naivität

Der erste direkte Angriff des Iran auf Israel scheint mehr Nachdenklichkeit zu erzeugen. Darüber wird auch der Unterschied zwischen autoritären und totalitären Regimen verdeutlichen. Mit autoritären Staaten des Nahen Ostens wie Jordanien und Ägypten kann der Westen kooperieren, mit einem totalitären Regime wie in Teheran nicht. Dessen absoluter Wahrheitsanspruch bedeutet wesensgemäß Feindschaft und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und „Ungläubigen“. Kompromisse mit ihnen können allenfalls einen taktischen Charakter haben. Da die Mehrheit der Palästinenser die Hamas-Massaker befürwortetet, ist eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem „Gottesstaat“ als Nachbarn für Israel keine Option mehr.

Selbst die westliche Entwicklungshilfe, die den Palästinensern nahezu bedingungslos gewährt wird, ist von erschreckender Naivität. Hetzerische Schulbücher werden von der UNO direkt bezahlt, aber auch sinnvolle zivile Hilfen entlasten die Haushalte von Hamas und Fatah. Zwar haben die Europäer den Palästinensern nichts weggenommen, sondern im Gegenteil deren Existenz und Opposition durch eine faktisch bedingungslose Entwicklungshilfe ermöglicht. Aber auch diese Schutzgelder helfen ihnen auf Dauer nicht. 

Nicht nur Palästinenser selbst, sondern Gäste aus der ganzen islamischen Welt nutzen ihre Freiheiten im Westen zum Judenhass. An unseren Universitäten und bei dem Gelichter der Berlinale finden sie Unterstützung. In den USA sind die Universitäten von den Golf-Emiraten finanziell und vom Kulturmarxismus geistig unterwandert. Die dortigen Attacken gegen Israel und gegen jüdische Kommilitonen dürften kaum aus der Sachkenntnis über die territorialen Konflikte in der Levante resultieren. Sie stehen in einem Zusammenhang mit dem Hass auf die westliche Kultur, für die Israel ein erstes Symbol ist.   

Gegenüber den bloß autoritären Regimen im Nahen Osten wäre Koexistenz möglich, aber nicht gegenüber der totalitären Dynamik der Taliban, des Islamischen Staates, der Ayatollahs und von Hamas und Hisbollah. Im Dunkel ihrer Bedrohung wäre eine Sicherheitspartnerschaft gegenüber islamistischen Bewegungen geboten.  

Da der religiöse Totalitarismus aufgrund seiner auf das Absolute zielenden Eigendynamik nicht zu beschwichtigen ist, muss er eingedämmt werden. Übertragen auf den Nahen Osten würde die dementsprechende erfolgreiche Strategie des Kalten Krieges bedeuten: politische Koexistenz mit autoritären arabischen Regimen und Eindämmung des totalitären Islamismus gemeinsam mit ihnen. Die Eindämmung des Irans müsste auch die Eindämmung von Hamas, Hisbollah und Huthi umschließen. Die NATO sollte gelegentlich den Blick nach Süden wenden und ihren Beitrag leisten in der Unterstützung einer neuen Grenzpolitik. Die australische Marine leistet ihren Beitrag zu Sicherung des Landes gegenüber illegaler Migration. 

Paradigmenwandel vom Kulturalismus zur Zivilisation 

Um aus der langfristig demografisch und strategisch ziemlich hoffnungslosen Lage Israels als „Daniel in der Löwengrube“ herauszukommen, braucht es ein kleines Wunder, modern gesprochen einen Paradigmenwandel. Es gibt Hinweise auf diesen sich andeutenden Wandel – vor allem in den Abraham-Accords

Die wissenschaftlich-technische Zivilisation beruht vor allem auf der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen wie Religion, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die jeweils ihrer Eigenlogik folgen und dadurch erst Leistungsfähigkeit erringen. Die gewaltenteilige Demokratie wäre eine weitere Zivilisationsstufe. Die erste Stufe erreichen auch autoritär regierte Staaten. Sie sind das kleinere Übel gegenüber dem Totalitarismus. 

Das Interesse an den Ergebnissen der westlichen Zivilisation könnte eine Brücke zwischen den Kulturen bauen. Selbst das Ringen um territoriale Fragen zwischen Israel und den Palästinensern könnten durch sie auf einer neuen Ebene  aufgehoben werden. Teile der arabischen Welt haben sich in der Zustimmung zu den Abraham-Accords für die Kooperation mit dem einstigen Feind zugunsten der Zivilisation entschieden. Meerwasserentsalzung, Begrünung von Wüsten, Handel und Tourismus erscheinen ihnen wichtiger als Heilige Kriege. 

Dieser hoffnungsvollen Annäherung wollten die Schergen Teherans entgegentreten. Hier scheiden sich die Wege. In der gesamten islamischen Welt steht eine Entscheidung zwischen Entwicklung oder islamistischer Regression an. Beim nächsten Abraham-Accords sollten sich die Palästinenser beteiligen, die sich den ersten Versuchen verweigert hatten.  

Wokismus wirkt nur noch lächerlich 

Nach dem 7. Oktober werden die Israelis nicht mehr vergessen, dass Grenzsicherung wichtiger ist als die Ausdehnung der eigenen Gebiete in der Westbank. In einer Welt von Feindschaften hat sich die exzessive politische Beschäftigung mit inneren Strukturfragen als fahrlässig erwiesen. Selbst die Regierung Israels hat den religiösen Totalitarismus der Hamas völlig unterschätzt.  

Noch vor einigen Jahren konnte man als Gastdozent in Haifa über aufgekommene Regenbogenallüren der Studenten nur staunen. Diese geistige Dekadenz ist nach dem 7. Oktober nicht mehr anzutreffen. Heute streiten die jungen Menschen Israels nicht länger über Gender und Inklusion, sondern kämpfen als Freiwillige im Gazastreifen.   

Staat und Gesellschaft Israels erweisen sich in der Krise als äußerst wehrbereit. Die israelische Widerstandsfähigkeit basiert auf dem positiven Bezug zur eigenen Kultur, Religion und Geschichte. Bei aller Pluralität können die Israeli auf den Fundus an kulturellen Voraussetzungen der jüdischen Leitkultur aufbauen. 

Mit der in Europa gepflegten „postkolonialistischen“ Selbstverachtung wäre dies nicht möglich. In Deutschland ist die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen, auf einem Tiefpunkt angelangt. Der Kinderreim „Frieden schaffen ohne Waffen“ wird mit jedem Messerangriff als gefährliche Illusion entlarvt. Wehe, wenn wir von einem Raketen-Regime wie dem Iran auch nur erpresst werden sollten. Kein nennenswertes Abwehrsystem könnte den Europäern den Schutz gewähren, den die Israelis gegenüber den iranischen Raketen hatten. 

Sofern es den Europäern nicht gelingt, wieder ein positives Verhältnis zu ihrer eigenen Kultur zu finden, gibt es nicht einmal einen tieferen Grund, sich zu beschützen. Als erstes müssten die Europäer wieder den Unterschied zwischen ihrer und anderen Kulturen begreifen. Vom leidgeprüften Israel könnten sie heute darüber eine Menge lernen. 

Dieser Text erschien in gekürzter Fassung in der NZZ v. 29.4.2024 

 

Heinz Theisen ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln. Zuletzt ist 2022 beim Lau-Verlag erschienen: "Selbstbehauptung. Warum Europa und der Westen sich begrenzen müssen".

Foto: TimsAI

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Irene Luh / 03.05.2024

Der wichtigste Gedanke, ist jedoch dieses: das Wort Menetekel entstammt der Bibel. Gott sagt in der Bibel, sehr klar und deutlich, daß Israel der Taumelbecher für alle Nationen dieser Welt werden wird und das Israel nur den Juden gehört. ++ Ein muslimischer Terrorist hat das im Jahr 1970 bestätigt, indirekt, indem er gegenüber einem Journalisten klarstellte, daß das palästinensische Volk nicht existieren täte, sondern nur eine bösartige politische Finte wäre, um die arabische Welt zu einigen, in ihrem Haß gegen das jüdische Volk. Die Hamas führt das nur weiter. Die Grundlage für diesen Haß, liegt in den islamischen Schriften begründet. ++ Der Autor sollte also seine eigene Brandmauer (Religion) verwerfen und das, was diese Menschen sagen, sehr ernst nehmen. Denn, was die Muslime denken und tun, ist böse und unmenschlich. Nicht alle Muslime folgen diesen Mördern, Verallgemeinerungen sind das Ende jeder echten Wissenschaft. Aber genug Muslime tun das. Und Europa, die gegenwärtige USA , der sog. Westen, gottlos geworden, atheistisch kontrolliert, beherrscht, wendet sich immer stärker gegen die Gebote Gottes, des alleinigen Gottes. Sie werten alle christlichenn Werte um. Das sind harte unleugbare Fakten. Mit Glauben, Religion hat das nichts zu tun. Wer die Bibel jemals studiert hat, und den Koran, die Mao"bibel”, erkennt die eklatanten Unterschiede und weiß er nur gewinnen wird. Und hier fängt der Glaube an. Man kann das alles ablehnen, auf eigene Gefahr. Die Realität wird sich jedoch brutal durchsetzen.

Martin Müller / 03.05.2024

Israel ist das Bollwerk der westlichen Zivilisation im Nahe Osten. Israel gehört zu Europa…. Aber unsere Politiker haben uns Millionen Feinde des Juden- und Christentums nach Europa geholt. Ob diese Politiker die Juden schützen, ich habe einen großen Zweifel. Darum müssen wir Bürger aufstehen, denn, unabhängig von der belasteten deutschen Geschichte, sind Juden und Christen Geschwister.

Dirk Jungnickel / 03.05.2024

Der Schutz und die Rückbesinnung auf die eigene Kultur, zu der vor allem die christlicher Religion als Basis gehört, dürfte die Voraussetzung sein, um gegen die Vereinnahmung durch den Islam - den man nicht vom Islamismus unterscheiden sollte - zu widerstehen. Wenn man vor fünf Jahren die Forderung nach einem Kalifat ( Hamburg, Mai, 2024) vorausgesagt hätte, dann wäre man an einen Psychiater verwiesen worden….UND NIEMAND MÖGE SICH HERAUSREDEN, DAS HÄTTE MAN JA NICHT KOMMEN SEHEN.

Thomas Szabó / 03.05.2024

Der Islam würde weder für Israel noch für Europa noch für die Welt eine letale Gefahr darstellen, wenn sich die europäische, westliche Zivilisation auf ihre Werte besinnen würde. Die autoaggressiven, autorassistischen, suizidalen postkolonialistischen, kulturmarxistischen, woken Ideologien sind toxische Abfallprodukte und gehören als Giftmüll entsorgt. Ohne der westlichen Zivilisation würde die Welt noch zwischen Steinzeit & Mittelalter feststecken. Wir haben allen Grund glücklich zu sein unserer Kultur anzugehören und keiner der anderen! Den Feinden der westlichen Zivilisation gehören die Vorzüge der westlichen Zivilisation entzogen. ♦ Wikipedia: “...postkolonialen Theorien entstandenen Critical Whiteness Studies ... White Supremacy ... das Phänomen, dass die in von Weißen dominierten Gesellschaften gebildeten Normen nicht nur als überlegen angesehen werden, sondern auch als „neutral“ und „normal“ verallgemeinert und objektiviert werden…” Laut der postkolonialen Definition ist unsere “White Supremacy” völlig berechtigt, denn unsere westliche Zivilisation ist tatsächlich überlegen & normativ. (Demokratie, Menschenrechte, Humanismus, Wissenschaft, Bildung, Hochkultur…) Dazu müssen wir stehen! Falsch wäre es nur aus der berechtigten “weißen Überlegenheit” eine “weiße Überheblichkeit” abzuleiten. Das war der größte Fehler unserer Vorfahren, der westlichen Kolonialherren. Überlegenheit berechtigt nicht zu Überheblichkeit, eher im Gegenteil, sie verpflichtet die Überlegenheit zum Wohle der gesamten Menschheit anzuwenden. ♦ Selbstverständlich interpretieren dumme Menschen die Überlegenheit kluger Menschen als Überheblichkeit!

Karl Vogel / 03.05.2024

Sehr gute Analyse. Unsere Situation in Europa scheint mir wesentlich ungünstiger zu sein als die Israels, denn die Israelis haben eine Grenze, die sie verteidigen können, bei uns stehen die Feinde längst innerhalb unserer Grenze, deshalb bedarf es keiner iranischen Raketen mehr, um uns zu besiegen. Warum sollten die Ajatollahs etwas angreifen und beschädigen, was ihnen sowieso bald gehören wird? Und: Nur eine Minderheit hier versteht, dass dies die Lage ist und das ist das eigentliche Problem.

Thomas Szabó / 03.05.2024

@ Volker Kleinophorst: Hat Netanjahu das ernst oder ironisch (20000 Elefanten) gemeint?

Roland Völlmer / 03.05.2024

Der Westen zerfleischt sich in der Ukraine momentan selbst. Er sieht seine Endzeit kommen: Entweder durch die Klimakatastrophe, oder durch einen Atomkrieg oder durch aussterben gegenüber dem Islam. Solange der Westen nicht für Frieden und Wohlstand steht, ist er nicht mehr Vorbild. Leider. Stoppt die Kriege und arbeitet zusammen. Dann macht der Rest der Welt mit.

Markus Landner / 03.05.2024

Was heißt hier “Modell”? Wir sind einfach Israel 2.0, ob wir es uns gefällt oder nicht. Der Unterschied ist nur, dass wir Linke haben, die Protestdemos mit Hamas & IS abhalten, Kalifatsstaatsfans verharmlosen, Bundeswehr & Polizei bekämpfen & IS/Hamas die Staatsbürgerschaft geben. Ein weiterer Unterschied ist, dass die 300 Millionen Europäer viel mehr sind als die 8 Millionen Israelis.

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