Redaktion / 14.04.2024 / 10:30 / Foto: sayyed shahab-o-din vajedi / 56 / Seite ausdrucken

Die Achse des Bösen greift an

Nach dem direkten Angriff des Iran auf Israel stellt sich die Frage, was nun passiert. Generalmajor i. R. Mick Ryan, Fellow des Center for Strategic & International Studies gilt als profunder Kenner der Lage. Annette Heinisch hat sein Statement für Achgut.com zusammengefasst und übersetzt. Eine Dokumentation.

„Normalerweise begnügt sich der Iran damit, seine zahlreichen Stellvertreter im Nahen Osten einzusetzen, um Israel und seine Interessen anzugreifen. Der Iran setzte bei seinem Angriff auf Israel bis zu 200 Drohnen und Raketen ein. Anschließend hat er jedoch über seine Ständige Vertretung bei den Vereinten Nationen eine Erklärung abgegeben, in der es heißt:

Die Militäraktion des Iran erfolgte auf der Grundlage von Artikel 51 der UN-Charta zur legitimen Verteidigung und war eine Reaktion auf die Aggression des zionistischen Regimes gegen unsere diplomatischen Räumlichkeiten in Damaskus. Die Angelegenheit kann als abgeschlossen gelten.

Das Problem besteht darin, dass die Angriffe des Iran direkt gegen Israel einen bedeutenden Wandel in der iranischen Strategie bedeuten. Und wie der Iran wahrscheinlich feststellen wird, muss das nicht unbedingt so sein, nur weil der Iran glaubt, dass seine heutigen Angriffe „die Angelegenheit abschließen“. Auch Israel „bekommt eine Stimme“ und ist wahrscheinlich nicht bereit, diesen Wandel in der iranischen Strategie ungestraft zu lassen.

Wie viele Israelis bei meinem Besuch dort im Dezember 2023 beschrieben haben, muss die Abschreckung nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober wiederhergestellt werden.

Israelische Militärquellen haben beschrieben, wie der Iran mehrere Militärstandorte in ganz Israel angegriffen hat. Die Iraner setzten eine Mischung aus Drohnen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern ein. Nach Angaben der Iraner wurden die Angriffe von vier verschiedenen Orten im Iran, im Irak, im Jemen und im Libanon aus gestartet.

Dieser viergleisige Angriff, bei dem verschiedene Arten von Drohnen und Raketen eingesetzt werden, spiegelt die von Russland in der Ukraine eingesetzten Taktiken für den Einsatz mehrerer Angriffsformen gegen Ziele wider (die ich in diesem heute Morgen veröffentlichten Artikel beschrieben habe). Die Iraner werden diesen russischen Ansatz studiert haben und wahrscheinlich direkte Lehren von Russland als Gegenleistung für ihre Unterstützung bei der Lieferung von Shahed-Drohnen an das russische Militär erhalten.

Die USA haben erklärt, vor den Anschlägen und seit ihrem Beginn, dass es Israel verteidigen wird und über die militärischen Mittel in der Region verfügt, um zu dieser Mission beizutragen...

Open-Source-Berichten zufolge gelang es den USA, mehrere iranische Waffen abzuschießen. Jordanien beteiligte sich offenbar auch an der Zerstörung iranischer Raketen und Drohnen, die über seinem Territorium flogen. Auch die britische Royal Air Force hat zu diesen Bemühungen beigetragen.

Doch der größte Teil der Reaktion auf diesen Angriff kam den Israelis zugute. Sie starteten Dutzende von Luftwaffenflugzeugen, und ihre Raketenerkennungsanlagen und Abfangsysteme waren alle an einer vernetzten Verteidigung gegen den iranischen Angriff auf ihr Land beteiligt.

Neben direkten Angriffen aus dem Iran haben die Iraner auch die Möglichkeit, ihre Stellvertreter dazu aufzurufen, gleichzeitige Angriffe zu starten, um israelische Sensoren, C2 und Entscheidungsprozesse zu überfordern. Dies scheint heute der Fall gewesen zu sein.

Zu den künftigen Optionen des Iran gehören massive Raketenangriffe der Hisbollah aus dem Libanon (wo sie über 100.000 bis 200.000 Raketen verfügen) sowie Angriffe aus Syrien….

Was kommt nun?

Im gesamten Nahen Osten und in den Hauptstädten Europas wird es derzeit voraussichtlich zu einer Flut diplomatischer Aktivitäten kommen, um entweder einen Waffenstillstand herbeizuführen oder die Lage zu deeskalieren. Es ist auch zu erwarten, dass die USA nach diesen Angriffen eine schnelle Luftbrücke mit Luftverteidigungsraketen und anderem Material aus den USA nach Israel durchführen werden.

Es gibt in dieser Phase auch einige wichtige Fragen, auf die wir noch keine guten Antworten haben.

Erstens: Handelt es sich hierbei um einen kurzen „Performance-Angriff“, um sich für den Angriff auf die Offiziere der Quds-Truppe zu rächen, den Ruf Irans in der Region zu stärken und die Schwäche Israels auszunutzen, von der der Iran glaubt? Oder ist es etwas Größeres? Die Aussage der iranischen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen deutet darauf hin, dass es sich bei den Angriffen um erstere handeln könnte. Aber es ist noch früh.

Zweitens: Was ist hier das ultimative Ziel Irans und seine Strategie, es zu erreichen? Dies ist eine große Veränderung in der Art und Weise, wie die Iraner Israel seit Jahren angreifen. Normalerweise bevorzugt der Iran Stellvertretertruppen, um ihn von einer möglichen israelischen Reaktion fernzuhalten. Warum hat es sich zu einer so drastischen Kursänderung seiner Strategie zur Konfrontation mit Israel entschieden?

Drittens: Wie bedeutsam wird die israelische Vergeltung sein? Israel hat deutlich gemacht, dass es irgendeine Form der Vergeltung für die heutigen iranischen Angriffe geben wird. Es hat bereits zuvor weitreichende Angriffe gegen den Iran geprobt. Israel hat mehrere strategische Optionen, wie es reagieren könnte:

Option 1: Israel könnte sich dafür entscheiden, nicht direkt auf den Angriff Irans zu reagieren. Dies würde möglicherweise zu einer Deeskalation der Situation führen, birgt jedoch die Gefahr, dass im strategischen Umfeld des Nahen Ostens eine neue Normalität entsteht, in der der Iran Israel bis zu einer bestimmten Schwelle ohne größere Vergeltung angreifen kann. Wenn Israel keine Vergeltungsmaßnahmen ergreifen würde, würde es wahrscheinlich vielen Regierungen im Nahen Osten (zumindest offen) gefallen, obwohl sie jetzt auch darüber nachdenken müssen, ob der Iran – der bereit ist, es direkt mit Israel aufzunehmen – möglicherweise nicht auch bereit ist, sie direkt anzugreifen.

Option 2: Israel reagiert mit einem verhältnismäßigen Angriff auf iranische Militärziele im Iran. Israel hat in der Vergangenheit Angriffe auf den Iran geprobt und verfügt wahrscheinlich über die Fähigkeit, dies auch kurzfristig zu tun. Es handelt sich sicherlich um eine der strategischen Optionen, die das israelische Kabinett derzeit erwägt. Damit einhergehen würden Cyberangriffe, Informationskriege und möglicherweise weitere israelische Sabotageakte gegen das iranische Regime.

Option 3: Eine verhältnismäßige regionale Reaktion. Dies ist eine Variante von Option 2, bei der Israel eine Reihe von Angriffen gegen iranische Ziele in der gesamten Region durchführt, jedoch nicht innerhalb des Iran selbst. Dies wird wahrscheinlich ein Merkmal jeder israelischen Reaktion sein.

Option 4: Israel könnte zu dem Schluss kommen, dass ein massiver Hammerschlag gegen den Iran nötig ist, um die Abschreckung wiederherzustellen (sofern das überhaupt noch möglich ist). Könnte Israel dies als Casus Belli nutzen, um die Atomwaffenprogramme Irans sowie eine Reihe militärischer und politischer Ziele im Iran direkt anzugreifen? Dies wäre eine erhebliche Eskalation des Iran-Israel-Konflikts.

All dies ist in den kommenden Stunden und Tagen möglich. Alle haben Vorteile, aber auch erhebliche Nachteile für die Israelis. Aber eines ist sicher: Das Konzept der „Wiederherstellung der Abschreckung“ gegen Iran wird eine wichtige Leitidee sein.

Unsichere Tage liegen vor uns

Es besteht große Unsicherheit darüber, wie sich diese Situation in den kommenden Stunden und Tagen entwickeln wird. Abhängig von der iranischen und israelischen Entscheidungsfindung besteht die Möglichkeit eines noch größeren Krieges im Nahen Osten. Ist eine Deeskalation möglich?...

Diese Ereignisse im Nahen Osten werden Irans Partnern in der neuen Ära der Achse des Bösen, Russland und China, sicherlich gefallen. Es sorgt für noch mehr Chaos im globalen Sicherheitsumfeld, lenkt die USA weiter ab und lenkt die Aufmerksamkeit der Medien von den brutalen Luftangriffen Russlands auf Charkiw und andere ukrainische Städte ab. Auch China wird mit den Ablenkungen der USA bei der Konfrontation mit der chinesischen Aggression im gesamten Indopazifik zufrieden sein.

Und für die Ukrainer, die verzweifelt nach mehr US-Hilfe suchen, könnte die wahrscheinliche Aufstockung der US-Hilfe für Israel die Chancen auf weitere Hilfe für die Ukraine beeinträchtigen.

Obwohl es verlockend ist, die Situation im Nahen Osten als ein einzigartiges Problem zu betrachten, ist sie tatsächlich Teil einer viel umfassenderen Konfrontation, die im Gange ist. Das autoritäre Quartett aus Iran, Russland, China und Nordkorea befindet sich in einem ideologischen Kampf gegen den Westen. Was zwischen Israel und Iran passiert, hat Auswirkungen auf Osteuropa und den Westpazifik. Jede Strategie für das weitere Vorgehen im Nahen Osten und darüber hinaus muss dies berücksichtigen.

 

Generalmajor i. R. Mick Ryan, Fellow des Center for Strategig & International Studies, Verfasser von „War Transformed“ und „White Sun War: The Campaign for Taiwan“. Der hier zusammengefasste Originalfbeitrag erschien zuerst auf Ryans Webseite "Futura Doctrina". (Zusammenfassung und Übersetzung aus dem Englischen von Annette Heinisch).

Foto: sayyed shahab-o-din vajedi CC-BY 4.0, via Wikimedia Commons

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Bernd Neumann / 14.04.2024

Ein Krieg zwischen Israel und dem Iran wäre - im Gegensatz zu dem zwischen Rußland und der Ukraine und auch im Gegensatz zu einem zwischen Rußland und den Westeuropäern immer ein asymmetrischer. Der Iran besitzt seit dem Ende des Krieges gegen den Irak in den 1980er Jahren keine nennenswerten regulären Streitkräfte mehr. Neben der langen Unmöglichkeit, sich auf dem Weltmarkt mit klassischen Waffensystemen eindecken zu können, steht dahinter auch das Mißtrauen jedes diktatorischen Regimes gegenüber den eigenen Streitkräften, da diese die einzigen Kräfte im Land sind, die das Regime stürzen könnten. Daher sind die Pasdaran die eigentlichen iranischen Streitkräfte. Diese sind von Anfang nicht davon ausgegangen, sich mit westlichen Staaten oder Israel auf einen symmetrischen Konflikt einlassen zu können und haben das Prinzip des Guerillakrieges verfeinert, Aus Mangel an Kompetenz und Geld setzen sie daher auf einfache Billigwaffen, insbesondere Drohnen zu Wasser und zur Luft. Dazu kommen die regionalen Stellvertreter, wie die Hizbullah, die im Zweifelsfall die Drecksarbeit vor Ort machen sollen. Der letztlich gescheiterte Angrif auf Israel am 13.4. hat gezeigt, daß sie mit diesem Konzept an Grenzen stoßen. Die Hizbullah war ganz offensichtlich nicht zu einem großen Schlag gegen Israel bereit - daher mussten sie selbst feuern, wohlwissend, daß das zu nichts führen würde. Entweder rüsten sie nun auf - Rußland und China dürften gegen Bares das entsprechene Gerät liefern - oder sie belassen es dabei, nur Maulhelden zu sein. Ich setze auf ersteres.

Richard Loewe / 14.04.2024

wenigstens erwähnt der Artikel, daß es sich um die Reaktion auf den Raketenbeschuß der iranischen Botschaft handelt und keinen Angriff aus dem Nichts.

Leo Hohensee / 14.04.2024

@Dirk Jungnickel - Wissen Sie, Herr Jungnickel, da ich ja dafür bin, meine Initiative in gute Nachbarschaften zu stecken, werde ich ich mich weder gegen den einen noch gegen den anderen entscheiden sondern FÜR Beide. Ich werde Beiden anbieten, ihre guten Seiten anzunehmen. beste Grüße

Christiane Elisabeth Dornecker / 14.04.2024

Dr. Claus-D. Dudel : Nein, Herr Dr. Dudel, das haben wir keineswegs vergessen. Allerdings reicht unser Erinnerungsvermögen noch ein wenig weiter zurück. Ich erinnere gern an November 1979. Da wurde die amerikanische Botschaft in Teheran gestürmt und 52 amerikanische Geiseln für 444 Tage festgesetzt. Die Integrität von Botschaftsgebäuden wurde zunächst vom Iran konterkariert. Aber das ist natürlich schon ein wenig her…

Klaus Keller / 14.04.2024

Die Pläne der deutschen, französische, britischen und russischen Generalität waren 1913 auch ganz ausgezeichnet.

Ingo Minos / 14.04.2024

Am Neujahrsabend 1977/78 weilte US Präsident Jimmy Carter in Teheran beim Schah Reza Pahlewi. In einer Ansprache erklärte Carter, “Der Iran ist eine Insel der Stabilität in einer der unruhigsten Regionen der Welt. Dies ist Zeugnis ihrer Führungskraft, Eure Majestät, und für den Respekt, die Bewunderung und Liebe, die ihnen ihr Volk entgegenbringt.” Der Schah erlaubte auf Drängen der USA erstmals Demonstrationen und verbot sogar die Folter. Ein Jahr später ernannte der Schah dann einen Oppositionspolitiker zum Ministerpräsidenten. Wenige Tage später mußte der Schah den Iran verlassen, weil die USA ihn fallen gelassen haben. Chomeini kehrte am 1.2.1979 in den Iran zurück, die Mullahs übernahmen die Macht. Zeitgleich am 1.1.1979 nahmen die USA und die Volksrepublik China erstmals volle diplomatische Beziehungen auf! Am 25.12.1979 gab es dann die militärische Intervention der UdSSR in Afghanistan, die bis 1989 andauerte. Jimmy Carter war wohl außenpolitisch einer der schwächsten US Präsidenten. Gut zu wissen, daß der jetzige US Präsident außenpolitisch und auch innenpolitisch deutlich tatkräftiger, engagierter, erfahrener und orientierter ist, als Jimmy Carter

Dirk Jungnickel / 14.04.2024

@Leo Hohensee Da kann ich nur sarkastisch werden: Als Alternative bietet sich dann das poststalinistische System des Kreml - Verbrechers an…oder wie oder was ????—— Das mittelalterliche iranische Mullahsystem dürfte leider nur von innen heraus auf den Müll der Geschichte geworfen werden; das kann noch dauern, befürchte.—- An die Admins der Achse: Ich bin bestimmt nicht prüde, aber die Halbnackedeis in der Werbung rechts werden langsam lästig ...

gerhard giesemann / 14.04.2024

Zum Glück sind Verteidigungswaffen regelmäßig billiger als Angriffswaffen. Dies gilt umso mehr, je raffinierter und versierter die Verteidigungstechnik ist. Intelligenz gegen brutale Dummheit. Das zählt.

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